Rückblende Frühjahr 2015. Posting übernommen aus einem gelöschten Blog von mir.
Machen, worüber andere nur reden?
Wir machen!
Wir haben unseren Doppel-Umzug geschafft, und leben jetzt für ein paar Monate auf Probe in Kroatien. Einerseits sind wir in eine Mini-Wohnung von Freunden in unserem bisherigen Wohnort in Deutschland gezogen, andererseits in den Anbau an ein altes Bauernhaus der Mutter meiner Frau in Kroatien.
Wenn es denn mal so einfach wäre, wie es sich mit ein paar Sätzen liest. Einfach war nichts und einfach ist nichts. Hingebibbert und hingeschuftet haben meine Frau und ich uns bis zu der realen Verwirklichung unseres selbst erdachten und geplanten „Ausstiegs“ der vor ca. drei Jahren immer ernsthaftere Züge angenommen hatte. All das noch in Deutschland, das uns weit vor der aktuell stattfindenden Völkerzuwanderung immer fremder geworden war. Dieses wunderschöne Land mit einem unglaublichen Reichtum an Geschichte mit wahrhaftigen und „greifbar“ von Menschen gestalteten Burgen, Schlössern, Häusern, Straßen und Gassen aus längst vergangenen Epochen. Zeitzeugen aus Holz und Stein, aber auch die berühmten deutschen Erfinder, vor allem aber Dichter und Denker haben uns immer schon fasziniert. Durch Deutschland wandelten wir auch aus beruflichen Gründen kreuz und quer durch die Städte und Dörfer über viele Jahre hinweg. An dieser Stelle danke ich meinem ehemaligen Arbeitgeber recht herzlich für die unbeabsichtigte Unterstützung bei meinem eigenen „Abenteuer Deutschland“, welches ich ohne ihn niemals derart ausführlich hätte erleben können.
Vorgeschichte(n)
Nach neun Jahren „Lustig ist das Zigeunerleben auf gehobenem Niveau“ war mit dem Job und Abenteuer Deutschland Schluss. Mir war langweilig geworden, was mein Arbeitgeber bemerkte, und sich meiner entledigte. Die Masse der in Mausrädern lebenden Menschen würde das, was dann mit mir anschließend passierte, als Abstieg bezeichnen. Finanziell gab es diesen auch, denn zuvor hatte ich vergleichsweise gut verdient gehabt. Aber im wahrsten Sinn des Sprichworts hatte ich am eigenen Leib festgestellt, dass Geld alleine nicht glücklich macht. Ungefähr zwei Jahre vor meinem Jobverlust bemerkte ich immer öfter, dass mir jeder Tag wie eine Kopie des Vortages erschien. Das Gefühl, das ich wie eine Kreatur von einem fremden Planeten meine Umwelt und mich aus einer Distanz betrachte, stellte sich immer intensiver ein. Es machte mich auch nicht glücklicher, mehr Geld für irgend welche nützlichen oder auch unnützen Dinge auszugeben. In den allermeisten Fällen schmeckte auch das Essen im teuren Hotel-Restaurant oder das Bier in der Schicki-Micki-Bar selten besser, als sonst irgendwo, obwohl ich dafür manchmal das doppelte und noch viel mehr bezahlen musste. Wenn es irgendwie ging, versuchte ich deshalb auf meinen geschäftlichen Reisen in kleinen Gasthäusern mit Fremdenzimmern zu nächtigen. Dort, wo ich hin musste, gab es aber leider nicht immer diese Möglichkeit. Das so genannte Kneipensterben zog damals auch das ein oder andere gut bürgerliche Gasthaus und kleine Familien-Hotel mit in seinen Sog, was ordentlich Lücken an Beherbergungs-Betrieben in vielen Landstrichen hinterließ. Noch heute findet man mehr als genug leer stehende, sowie auch halb verfallene Gebäude, die allesamt den Hauch von besseren Zeiten vermitteln, in denen sich die Menschen nach Feierabend regelmäßig in ihnen getroffen hatten. Darunter eben auch welche mit Zimmern, die einst von Geschäftsreisenden wie auch Deutschland-Ausflüglern und Urlaubern gebucht wurden.
Deutschland, und das Leben um mich herum veränderte sich, ohne dass ich vor lauter Arbeit und Abenteuer es bemerkt hatte. Erst als ich raus war aus dem Job, erwachte ich wie aus einem Traum. Inklusive „Gründerunterstützung“ sollte ich in den nächsten zwei Jahren noch so viel Arbeitslosengeld im Monat beziehen, dass mir der Neid der Mitarbeiter in den Arbeitsagenturen sicher war. Ich war wieder im realen Leben angekommen, in dem sich manche Gepflogenheit, sowie die Gesellschaft insgesamt sich verändert hatte. Nach und nach stellte ich fest, dass ferne und nahe Bekannte älter an Lebensjahren geworden waren. Komisch, nur ich nicht! Mit etwas Mühe oder aus Zufall traf man den ein oder anderen in einer der früher angesagten Lokalität an, sofern es diese überhaupt noch gab. Andere hatte sich in Frührente gerettet, oder waren „einfach so“ weggestorben. So viele Leute wie nie zuvor hörte ich plötzlich klagen über die eigene Arbeitslosigkeit , miese Arbeitsbedingungen und schlecht bezahlte Jobs. Auch ich sollte mit den neuen Zuständen und Behandlungsmethoden in Ämtern und Geschäften noch Bekanntschaft machen. An die Tatsache, dass man als arbeitsuchender Ü50-er quasi chancenlos in der neuen deutschen „Erfolgswirtschaft“ ist, wollte ich lange nicht glauben. Frau von der Leiden und ihre meinungsmachenden Medien wussten schließlich auch, dass die Gewinner der Gewinner die „Alten“ gerade jetzt sind. Wie also kann man sich seinem Schicksal nur so ergeben, sich selbst so hängen lassen, dachte ich mehr als einmal angesichts von Leuten, die einstmals recht nette und gut bezahlte Jobs über viele Jahrzehnte lang hatten, diese aber mit 50 oder 55 verloren. Einer von ihnen war wie ich in einem artverwandten Bereich einer Tageszeitung tätig gewesen. Jetzt war er um die 60 Jahre alt, das Ersparte inklusive Versicherung für die private Altersvorsorge dahingeschmolzen, als Hartz4-Bezieher, wird er neben der ständigen Aufforderung Bewerbungen zu verschicken, mit Teilnahmen an so genannten Maßnahmen drangsaliert. An einer solcher „Maßnahme“ habe auch ich zwei sehr heiße Sommermonate lang teilgenommen. Da ich den wahren Sinn dieser Maßnahme beim besten Willen nicht erkennen konnte, bat ich die zuständige Arbeitsagentur um die Drehgenehmigung für eine Film-Dokumentation. Meinem Vorhaben war man wenig zugetan, wie ich im persönlichen Gespräch durch den Leiter der dortigen Agentur erfuhr. Wie sehr nur Geld für Eindruck und Entgegenkommen sorgen kann, durfte ich auch hier einmal mehr feststellen. Selbstverständlich wusste mein Gesprächspartner, dass ich überdurchschnittlich viel Arbeitslosengeld jeden Monat überwiesen bekomme. So nahm er mich und mein Anliegen sehr ernst, und teilte mir den eigentlichen, also wahren Grund für diese „Maßnahmen“ mit, deren Sinn und Wert ich so sehr in Frage gestellt hatte: „Die Arbeitslosen sollen sich nicht an das späte Aufstehen gewöhnen.“ Außerdem würde eine interne Statistik zeigen, dass viele Arbeitslose dem Alkohol verfallen. Daher wehte also der Wind, die Leute sozusagen präventiv auf Trab halten, damit sie sich nicht selbst abschießen, und ein Heer von „Kaputten“ und Bettlern das künftige Straßenbild der deutschen Städte prägen wird.
Gut, das war für mich eine ehrliche Aussage mit der ich leben konnte, aber mich persönlich immer mehr zum Grübeln über den Sinn meines Daseins inklusive Lebenszweck und Lebensfreude veranlasste. Freude durch Arbeit? Ja, aber nur wenn sie mir gefällt und – fast noch wichtiger: ich mir nicht wie ein dumm gehaltener Knecht vorkomme, der von einem vermeintlich erfolgreichen, weil gewissens- und rücksichts-losen Unternehmer, ausgebeutet wird. Mit solch einer persönlichen Grundhaltung sanken zusammen mit meinem zunehmenden Lebensalter freilich die Chancen auf einen neuen Arbeitsplatz gegen Null.
Man ist so alt, wie man sich fühlt?
Was für ein alt bekannter Spruch mit so vielen Fehlern und Tücken, das er dem realen Lebensalltag nicht lange stand hält. Das Alter einer Person hat in meinem Denken nie eine Rolle gespielt gehabt. Na gut, damals vielleicht, als ich es kaum erwarten konnte, endlich achtzehn Jahre alt zu werden. Aber sonst: nein! Auch mein eigenes Alter war nie ein Thema gewesen, nicht für mich, und lange Zeit scheinbar auch nicht für andere. Auch das änderte sich, jedoch nicht durch mich, sondern durch andere Menschen. Andere Leute machen einen also alt, da kann man selbst sich so „alterslos“ halten oder fühlen wie man will. „Was glauben Sie, was der Mann noch für einen Arbeitsplatz mit über 50 bekommt?“, sagte der mir langjährig bekannte Halb-Freund und Rechtsanwalt zu der Arbeitsrichterin, als es um die Höhe meiner Abfindung ging, die mein netter Ex-Arbeitgeber natürlich am liebsten gar nicht bezahlt hätte. Ein bisschen weh tat mir dieser Ausspruch in diesem Moment schon, aber noch stand ich über allem, noch fühlte ich mich nicht so alt, wie mein Anwalt aus vermutlich nur „verhandlungstaktischen“ Gründen der Richterin gegenüber als ein Handicap von mir zu verkaufen versuchte.
Meine Güte, mein Gott…was waren denn schon 51, was sind 58 heute, und was ist sind andere Menschen mit 67 heutzutage, wo sie im Regelfall ihre Rente bekommen, und richtig zu leben beginnen können. Drei Menschen aus meiner alten Feier- und Freundes-Garde sind schon mit 65 in Rente gegangen, sie hätten mit Abschlag sogar noch früher können. Kürzlich sind alle drei gestorben, keiner ist älter als 68 geworden.
Wie gesagt, meine Frau und ich sind nun ausgestiegen im wahrsten Sinne des Wortes. Ich bin irgendwie schon immer „ein bisschen ausgestiegen“ gewesen, vermutlich schon kurz nach meiner Geburt in Baden-Baden. Eine „saugute“ Zeit habe ich damals, 1957, scheinbar erwischt, wenn ich mir die heutige Gesellschaft in Deutschland so angucke. Achtzehn Jahre lang war ich zwar Franzose dort, weil das nach französischem Recht eben so war, wenn der Papa ein Franzose ist, aber das juckte auf den deutschen Schulen eigentlich niemanden. Man sprach dort Deutsch, ich auch. Ende.
Später sichtete ich einen Italiener in der Schulklasse, (m)ein erstes Gastarbeiterkind in der Klasse mit dem die Lehrer aus Sprachgründen überhaupt nicht klar kamen. Nach ein paar Tagen war das Kind weg. Aus heutiger Sicht ist mir einiges klarer und verständlicher geworden. Auch ich war damals mit meinem franz. Nachnamen ein Fremder in Baden-Baden gewesen, nur kam ich schon aus einer Multikulti-Familie in der es französische, tschechische, deutsche und schwäbische Verwandte gegeben hat. Aber wenn die allesamt miteinander verwandt waren bzw. sind, was ist daran überhaupt noch „Multikulti“? Wie auch immer, aufgewachsen im Badischen konnte ich mich auch auf Badisch bestens unterhalten. Dagegen wusste der kleine Italiener aus der Pampa irgendwo in Süditalien nicht einmal, wie man Guten Tag auf Deutsch ausspricht. Das arme Kerlchen…
Erst seit dem Mauerfall 1989 fühle ich mich als Deutscher mit Migrationshintergrund in Deutschland, und als Deutscher in Kroatien auch so ein wenig wie dieses italienische Kerlchen von damals, nur eben sehr erwachsen, ein alter Sack, der sich ein bisschen zu helfen weiß, und dem einiges ziemlich scheißegal geworden ist, was den Wettbewerb beim Tanz um das Goldene Kalb oder das neueste Iphone betrifft.
Mir tun alle Knochen weh
Ich bin jetzt also auch schon so „alt“, weil ich so rede wie früher meine Oma und andere ältere Menschen? Im Moment schmerzen mir allerdings die Glieder aus Gründen, die nur nebensächlich etwas mit dem Lebensalter zu tun haben. Die wochenlangen Umzugsvorbereitungen, der eigentliche Umzug, und jetzt noch schnell so knapp vor dem Winter in Kroatien auf dem Grundstück Bäume fällen, Brennholz bunkern, Ackerböden für das nächste Jahr richten, Salat für den Winter aussäen, Knoblauch und Zwiebel für das Frühjahr …
Mir tun alle Knochen weh, ich spüre aber auch mein Sein wieder viel mehr. Nur die Leichtigkeit des Seins ist mir vor ein paar Jahren schon etwas abhanden gekommen, doch jetzt fühle ich wenigstens wieder das, was Leben bedeutet. Mein Muskelkater allwöchentlich in einem anderen Körperbereich, ist nur eines der neu erwachten Lebensgefühle, die mich von meiner „German Angst“ etwas ablenken. Viel zu viel Körpergewicht drückt mir auf die Gelenke, aber das würde sich tatsächlich bald ändern. Gut 10 Kilo sind schon runter vom Büro- und Bequemlichkeits-Speck auf den Rippen. Irgendwann werde ich kein Insulin mehr spritzen müssen, da bin ich mir ganz sicher. Als ich Anfang 40 war und erstmals bei mir Blutzuckerwerte in einer Höhe gemessen wurden, dass mein Hausarzt sogar einen Notfallwagen rufen wollte, der mich in eine Klinik fährt, hatte ich es schon einmal geschafft. Nach 10 Tagen benötige ich kein Insulin mehr. Das wird mir jetzt, etwa 15 Jahre später, hoffentlich nochmal gelingen.
Näher am Leben dran
So ein klein wenig ein Selbstversuch ist das mit dem Aussteigen für mich ja schon. Werde ich wirklich auf Dauer so völlig raus aus dem gewohnten System unter anderen Wohn- und Lebensbedingungen leben können? Ich will mir und schon gar nicht anderen etwas beweisen. Wenn es nicht funktionieren sollte, werden meine Frau und ich mit dem Beginn meiner Rente in fünf Jahren dann halt nicht für immer hier bleiben, sondern wohl für immer in Deutschland. Ich denke und hoffe nicht, dass es so kommen wird, doch angesichts vieler negativer Beispiele wie ich sie schon beobachten konnte, hüte ich mich vor langfristigen Lebensplanungen die so „endgültig“ gedacht sind. Ich bin aber auch Realist genug, um relativ gut einschätzen zu können, dass wir hier in der Natur abseits vom Trubel und Konsumwahn durchaus auch im Rentenalter uns noch wohlfühlen werden. Weit weg von Baden-Baden und Ettlingen, aber näher am Leben dran. Darum geht es uns beiden!
Alles weitere beschreibe ich wahrheitsgetreu und mehr oder weniger tages- und wochenaktuell aus meiner Sicht in der Folgezeit in meinem Blog.
Wozu?
1. um mir selbst zu helfen und
2. als gutes oder auch schlechtes Beispiel anderen Ausstiegs-Interessenten behilflich sein zu können.
Michel
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